ZUM FILM
Sie kennen sich schon ewig. Elfriede Jelinek ist
die bekanntere der beiden, die große Autorin mit ihrem analytischen Verstand und ihrem gesellschaftlichen Engagement gegen das ganze „Politikergesocks". Die andere Elfriede bleibt da eher zart mit ihrer Lyrik, wiewohl ihre Gedichte eine gewisse Schärfe nicht vermissen lassen, wenn auch eher in Ironie gepackt. Wenn die beiden Elfrieden in ihrem Wiener Kaffeehaus sitzen und den kleinen Braunen trinken, sprechen sie meist über Kleider, sie sprechen von der Mode, die Elfriede Gerstl gerade mal wieder gesammelt hat. Kleider aus den 30er bis 70er Jahren, auch Taschen, Knöpfe, Bänder, die sie über die Jahre in ihren kleinen Laden beim Naschmarkt geschleppt hat. Elfriede Jelinek ist nicht nur die beste Freundin, sie ist auch die beste und liebste Kundin. All das sehen wir, und alles andere werden wir herauskriegen bei dieser ungewöhnlichen Begegnung vor der Kamera von Hanna Laura Klar, die schon Einar Schleef zu unvergesslich vertrauten Parkbank-Gesprächen nachts in New York verleitet hat.


MITWIRKENDE:
Elfriede Gerstl und
Elfriede Jelinek


PRESSESTIMMEN ZUM FILM
Die Expertinnen
Ein kurioses Duo schlendert durch die Wiener Innenstadt: zwei Frauen, hoch gewachsen, schlank, blond, leicht exzentrisch gekleidet, mit Aufsehen erregender Haartolle die eine; die andere klein und zerbrechlich wirkend, wesentlich älter, eine Baskenmütze auf dem Kopf, unter der das rötlich getönte Haar hervor schaut. Elfriede Gerstl ist Lyrikerin, lange Zeit erfolglos, bis sie kurz hintereinander den Traklund den Erich-Fried-Preis zuerkannt bekam.
Leidwesen, "man muss versuchen, um jeden Preis ein Außenseiter zu sein", sagt sie. Jelinek und Gerstl - zwei ungleiche Frauen, befreundet seit 30 Jahren, radikal unterschiedlich in ihren ästhetischen Ansätzen, trotzdem mit erstaunlichen Parallelen. (...) Zusammen sitzen sie in dem kleinen Laden am Naschmarkt, der Gerstls Schätze beherbergt: Kleider aus den 30er bis 70er Jahren, die sie auf Flohmärkten und in Secondhand-Läden zusammenträgt. Mode ist ein wichtiges Verbindungsglied zwischen Gerstl und Jelinek, die freimütig bekennt, dass ihre optische Exaltiertheit nichts anderes als ein Schutzschild ist, Ausdruck des Wunsches, sich zu verstecken. "Mode sammeln macht süchtig", sagt Gerstl, während Jelinek Blusen anprobiert.
Eine weitere Gemeinsamkeit der zwei Frauen, die sich als "Gegenspieler im Schreiben" bezeichnen, ist das gestörte Verhältnis zu ihren Müttern, "beide Täterinnen". Der Ablösungsprozess ist noch lange nicht beendet, so freimütig dürfte man Elfriede Jelinek, diese Ikone der Frauenbewegung, noch nicht über Verletzungen und eigene Neurosen haben reden hören, eine Frau, die stets unter Druck schreibt und diesen Druck in ihre Texte weitergibt, Wut, Hass und eigene Kränkungen. "Wir sind", sagen die beiden abschließend, "Expertinnen in Sachen Leid". (Christoph Schröder, in : Frankfurter Rundschau, 11. September 2003)




Elfriede & Elfriede
Verbunden durch die Kleider und den Mangel „Zwei Wienerinnen, zwei Freundinnen, zwei Dichterinnen: das sind Elfriede Jelinek und Elfriede Gerstl, deren Freundschaft Hanna Laura Klar in ihrem Film ‘Elfriede & Elfriede’ dokumentiert hat. Das ist um so erstaunlicher, als es bisher keinen Film gibt, für den sich Elfriede Jelinek so lange vor die Kamera holen oder gar in ihrer Wohnung filmen ließ. Porträts von der scheuen Schriftstellerin existieren fast keine.
Deshalb hat Hanna Laura Klar auch viel Zeit investiert, hat ein Jahr lang die Autorinnen in Wien immer wieder mit der Kamera besucht, bis die Gespräche nach und nach intimer wurden.
Der Film atmet diese Vertrautheit aus jeder Pore, unbefangen probiert Elfriede Jelinek im Laden ihrer Freundin Hemden und Blusen an, in ihrem Haus holt sie sogar ihre alte Barbie-Puppe hervor, um sie in die Kamera zu halten. (...) Trotzdem ist Hanna Laura Klar ein Meisterstück gelungen. Ihre Aufmerksamkeit gilt den Freundinnen, die sie - auch mit Fotos aus deren Kindheit - immer intensiver vorstellt, ihr gemeinsames Interesse an Mode und Schmuck zeigt, mit dem beide, was nach und nach herauskommt, viele Mängel überdecken, die sie in ihrer Jugend erleiden mussten. ‘Das Sammeln von Kleidern ist für mich ein Versuch, mich zu trösten’, erzählt Elfriede Gerstl einmal: ‘Ich hatte eine ruinierte Kindheit. Als jüdisches Kind konnte ich keine Schule besuchen. Wir lebten versteckt.’ Und über ihre Freundin Elfriede Jelinek sagt sie: ‘Wir kennen uns ewig. Die Kleider und der Mangel haben uns verbunden.’ Elfriede Jelinek, die 15 Jahre jüngere, berichtet von ihrer strengen, ehrgeizigen Mutter, die sie zu Ballett- und Musikunterricht antrieb. Als sie mit 18 Jahren einen Nervenzusammenbruch erlitt und ein Jahr lang nicht unter Leute gehen konnte, habe sie begonnen zu schreiben. Ein erster Versuch, der Mutter zu entkommen. Ihr teils autobiografischer Roman ‘Die Klavierspielerin’ sei ihre Rache an der Mutter - Elfriede Gerstl bewundert sie dafür. Doch Unsicherheit ist geblieben: ‘Ich habe den Wunsch, mich zu verstecken.
Wenn ich etwas Spektakuläres trage, kann ich dahinter verschwinden’, sagt Elfriede Jelinek. Ob aus der Verunsicherung der Hass, die Aggressivität rühren, die Elfriede Jelinek zum Schreiben antreiben? Ihr Beruf helfe ihr sicherlich, diese Gefühle vorübergehend zu überwinden, sagt die Autorin. Sie würde gerne von ihrer Freundin, der Lyrikerin Elfriede Gerstl, lernen, ohne Druck zu schreiben - beiläufiger, leichter. ‘Im Schreiben sind wir fast schon Gegenpole’, findet die Jelinek. (...) Hanna Laura Klar stellt beide Dichterinnen gleichermaßen ausführlich vor - die unbekannte Elfriede Gerstl, für die der Zuschauer bald eine große Sympathie empfindet, ebenso wie Elfriede Jelinek. Und gerade indem sie beide und ihr Verhältnis zueinander dokumentiert, charakterisiert sie die Frauen: Es fällt auf, wie innig sie miteinander umgehen.
Elfriede Jelinek, die berühmtere, läßt ihrer Freundin den Vortritt, läßt sie reden und drängt sich niemals vor. Die analytische, erbarmungslose, engagierte, provokative Elfriede Jelinek, hier ist sie sensibel, verletzlich und schüchtern.“ (Katharina Deschka- Hoeck, in : Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.09.2003)


Gespräch mit Hanna Laura Klar
Die Mode und die Worte

Wie sind Sie überhaupt auf dieses Dichterinnen-Duo

gestoßen?
Den Anstoß gab mein Film "Drei Frauen um Schleef": nach dem Tod von Schleef führte ich Gespräche mit seiner Tochter, ihrer Mutter und auch mit Elfriede Jelinek. Und als der Film fertig war, sagte Frau Jelinek, dass sie Lust hätte, noch einen zu machen und schleppte mich in das Second-Hand-Lädchen von ihrer Freundin, der Lyrikerin Elfriede Gerstl. Und da kam dann die Idee auf, einen Film über die lange Freundschaft der beiden zu machen.

Was hat Sie an der Beziehung der beiden interessiert?
Ich wollte immer wissen, was diese beiden recht unterschiedlichen Menschen zusammen führt, die sich seit 30 Jahren kennen. Und ich glaube, es sind vor allem zwei Dinge: Die Mode und die Worte. Aber was mich darüber hinaus an beiden fasziniert, ist ihre Gebrochenheit; nichts an ihnen ist eindeutig oder perfekt, alles ist in Frage gestellt. Ich glaube, die beiden sind identisch mit sich selbst, sie haben sich gefunden - in ihren Worten und in ihrem Äußeren.

Wie viele gemeinsame Begegnungen haben Sie gebraucht, um sich dieses Bild machen zu können?
Ich habe die beiden ein Jahr lang immer wieder in Wien mit der Kamera besucht. Am Anfang war es mit den Gesprächen nicht immer ganz leicht, aber nach einem halben Jahr, als wir uns besser kannten, ging es dann sehr gut. Zum Schluss, würde ich sagen, haben wir so selbstverständlich miteinander geredet, als ob gar keine Kamera da gewesen wäre; das war schon ein sehr vertrauensvolles, persönliches Verhältnis.

Das klingt fast nach einer freundschaftlichen Beziehung.
Ich habe nach Dreharbeiten tatsächlich oft einen Freund mehr. Mich interessiert nichts Schnelles, Oberflächliches. Mir geht es nicht um ein Interview, für das man Fragen vorbereitet, um sie dann zu stellen. Ich suche einen Ausgangspunkt und versuche, ein Gespräch in Gang zu bringen und bestimmte Dinge herauszufinden; insofern bin ich ein bißchen wie eine Therapeutin. ich mache gerne Filme über Menschen, auch in dieser Hinsicht bin ich wohl eine Schülerin von Alexander Kluge. Und ich möchte den Menschen, über die ich Filme mache, gerecht werden. (Frankfurter Rundschau, 9. Septemper 2003)

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